Via della Pace – der Friedensweg

Der Karnische Höhenweg 403

Auf der Suche nach neuen Abenteuern ging es vom Meer in die Berge und – ohne zu wissen, welcher Virus mich da packen würde – saß ich 2022 in der Ausbildung zum Bergwanderführer. Wie das Schicksal so spielt, traf ich auf Vroni, die seit ihrem 8. Lebensjahr hochalpin unterwegs ist… und plötzlich kam über meine Lippen „Der Karnische Höhenweg muss wunderschön sein, aber ich glaube, soweit bin ich noch nicht…“ „Aber das schaffst du sicher!“ gab Vroni zurück. „Ich wollte ohnehin auch wieder mal gehen – wenn du willst, gehen wir gemeinsam!“ 

Gesagt – gehört – getan. 

 

Hier geht es zum Abschnitt 2024 ab Plöckenhaus:

http://KHW2024

 

*(alle Meter-Angaben im Text sind Höhenmeter)

 

 

7. September 2023 – Anreise und Aufstieg 

 

Es wird ernst. Träumen ist eines – aber tun ein anderes. Und ich bin nicht sicher, ob ich genug getan habe, um den Karnischen Höhenweg gut bewältigen zu können. War ich doch bisher eher auf Meeresspiegel und erst die letzten Jahre in den Bergen unterwegs. Mit etwas Aufregung und gleichzeitiger Vorfreude drehe ich den Schlüssel in meiner Haustüre und schließe ab.

Aus dem bisherigen Wandersommer nehme ich nur eine kleine Blessur am Fuß mit und hoffe, mein vor Jahren eingerissener Meniskus wird keine Probleme machen. Sicherheitshalber packe ich den alten Kniestrumpf ein. Trainieren konnte ich wetter- und arbeitsbedingt lediglich bis 1200 Höhenmeter. Neue Schuhe, jedoch altbewährte Marke, an den Füßen steige ich beim Bahnhof in Villach aus dem Auto und lasse alles zurück, was bisher zu meinem alltäglichen Leben gehört.

 

Langsam weicht der Zweifel der Neugierde. Am Bahnsteig nach Lienz warte ich auf Vroni, die den Höhenweg schon 6 x gegangen ist, zuletzt vor 6 Jahren, und Erinnerungen auffrischen möchte. Alles im Rucksack, was unbedingt nötig ist, kein Gramm zu viel, denn ich muss es die nächsten Tage durch alle Höhen und Tiefen tragen. 

Das Wetter könnte schöner nicht sein – offenbar wurde auch dieser Wunsch erhört und die nächsten Tage sollen die schönsten des Sommers werden. Sogar auf 2000 m soll es 16 Grad haben! Dennoch habe ich Haube, Handschuh und warme Kleidung dabei. Die Berge können immer überraschen.

 

Da ist sie! Ich winke und wir steigen in den Zug. Vorfreude leuchtet auch aus Vroni’s Augen als wir uns gegenüber sitzen und unsere Packgeschichten erzählen. Wir haben beide mehrmals umgepackt. Vroni kennt die Berge wie ihre Westen- oder besser gesagt Rucksacktasche. Während sie mir im Schnellverfahren die Berge der Tour aufzählt, merke ich mir kaum die Namen. 

 

In Lienz noch ein schneller Espresso und es geht weiter nach Sillian und auf die Leckfeldalm. Die Bäuerin dort erzählt von den Unwettern, den massiven Porkenkäferschäden und wir haben uns schon im Zug gefragt, warum es so viele braune Flecken in den Wäldern gibt. Die Förster kommen nicht nach, die befallenen Fichten zu fällen. Wir erfahren, dass der Befall vor 200 Jahren so massiv war, dass es laut Gemeindechronik gar keine Wälder mehr in der Gegend gab! Leider machte man den Fehler, Monokulturen zu pflanzen, sodass sich der Schädling ungehindert ausbreiten kann. Traurig schaue ich auf die vielen gelb werdenden Nadeln der Fichten – schon ganz junge sind betroffen und sterben ab.

 

Auf der Leckfeldalm angekommen, werden die Wasserflaschen gefüllt, noch ein Johannisbeer-Wasser getrunken und wir beginnen mit dem Aufstieg. Ein paar Bergsteigerdörfer unterhalb der Routen dienen der Akklimatisation vor der Höhenwanderung – wir wollen es jedoch gleich wagen. 

Der Tagestourismus wird weniger. Mountainbiker kommen uns auf ihrem Rückweg ins Tal entgegen. Es wird ruhiger. Und weiter… und höher.

Wir sehen das Heimkehrerkreuz, welches auf dem 2.373 Meter hohen Schützenmahd errichtet wurde und die Sillian-Hütte noch klein am oberen Kamm, aber stetig näher kommend.

„Hinter der nächsten Biegung gibt es eine Überraschung!“ meint Vroni – und ich hole aus. 

 

…WOW… da steh ich… staunend… welch ein Anblick!

2450 m über dem Meer schaue ich den Südtiroler Dolomiten in die Augen.

 

Es ist noch ruhig auf der Sillianer Hütte, wir sind früh dran. 1983 statt einer alten Hütte neu erbaut und 2019 großzügig modernisiert, bietet die „Hütte“ ein klares, modernes Ambiente mit traditionellen Elementen. Der Standort ist überwältigend, am Beginn bzw. Ende des Karnischen Kammes, mit Blick auf das Pustertal und traumhaften 360 Grad Ausblick auf die Sextener Dolomiten, die Ötztaler-, Stubaier-, und Zillertaler Alpen, die Villgrater Berge, das Venediger- und Glocknergebiet sowie die Lienzer Dolomiten. 

 

Alle Hütten am Höhenweg sind Alpenvereinshütten mit Pächterfamilien, die sie Juli bis Ende September bewirtschaften. Auf Vroni’s Empfehlung habe ich mir genügend Bargeld eingesteckt – denn hier wird keine Karte akzeptiert. Günstig sind die Hütten alle nicht – man muss mit 80 bis 100 Euro pro Nacht inkl. Verpflegung rechnen, egal wie man in den Mehrbettzimmern untergebracht ist. Geschlafen wird mit Hüttenschlafsäcken, die Bettwäsche wird nur im Notfall gewechselt. Es wird nach Platz und Zugehörigkeit eingeteilt, Burschen wie Mädels in einem Zimmer. Wir haben den Luxus eines 2-Bett-Zimmers, da sich die Chefin noch an Vroni erinnerte und die Hütte nicht voll ist ;-) Einige Höhenweg-Wanderer steigen erst bei der nächsten Hütte ein.

 

Wir spüren die Höhe und sind durstig. Je ein großer Soda-Radler zischt unsere Kehlen hinab und wir genießen die Abendsonne auf der Terrasse mit Blick auf die Dolomiten. Vroni erzählt mir einiges über den Höhenweg:

 

Der Karnische Höhenweg, kurz KHW 403 wird auch als "Friedensweg", "Via della pace" bezeichnet und ist ein herausragendes Erlebnis für Wanderer, Kletterer, Geologen und Naturliebhaber. In seiner Vielfalt gehört er zu den schönsten Weitwanderwegen Europas. Zwischen Sillian und Thörl-Maglern führt er entlang am Kamm der Karnischen Alpen an der Staatsgrenze zwischen Österreich und Italien. Er ist rund 150 km lang und führt durch ein landschaftlich einzigartiges Gebiet.

Nach dem Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 erstreckte sich die Front von der Adria bis zum Ortler. Hunderttausende Soldaten sind in diesem Gebirgskrieg gefallen. Noch heute gibt es in diesem Frontabschnitt viele Relikte wie Stellungen, Schützengräben, Kavernen und Bunker.

Mit dem Friedensvertrag vom 10. Sept. 1919 in St. Germain wurden die Grenzen neu gezogen und 1920 die Grenzsteine gesetzt. Der Verein Dolomitenfreunde unter Oberst Walther Schaumann hat in den Jahren von 1973 bis 1982 die alten Wege, Stellungen und Kavernen wieder instandgesetzt. 

 

Der KHW kann in zwei Teilabschnitten gesehen werden. Den hochalpinen, bergnahen oberen Teil von Sillian bis zur Valentinalm und den leichteren Wanderweg entlang weitflächiger Almböden bis zur Feistritzer Alm in Thörl Magglern. Wir haben uns den hochalpinen Teil mit rund 60 km in 5 Tagen vorgenommen. 

Der Helm (2433 m) mit der alten Helmhütte in Südtirol gilt als westlicher Beginn der karnischen Alpen. Erbaut in den Jahren 1889 und 1890 wurde der Stützpunkt in den 1970er Jahren endgültig aufgelassen. Seither steht das Helmhaus leer und ist dem Verfall preisgegeben. Unterhalb beginnen auch die Ruinen der alten Millitäranlagen, die uns den ganzen Höhenweg entlang begleiten werden. 

 

Auch geologisch werden wir so einiges sehen. Die Karnischen Alpen gehören zu den 100 wichtigsten geologischen Regionen der Erde und es kommen Geologen aus der ganzen Welt, um sich diese Phänomene vor Ort anzusehen. Am Nordrand des Gebirges, im begleitenden Gailtal, verläuft die periadriatische Naht, die geologische Grenze zwischen den Kontinentalplatten von Afrika und Europa. 

 

Wir befinden uns also auf mehreren „Nahtstellen“ dieser Welt und umso mehr möchte ich achtsam all diese Eindrücke in mich aufnehmen. 

 

Traumhaft beginnen sich die nackten Felswände visavis zu verfärben und die Sonne will sich hinter ihnen zur Ruhe begeben. Ein überwältigender Sonnenuntergang wird uns geschenkt, der einem grandiosen Sternenhimmel weicht.

 

 

1. Etappe: Sillianer Hütte - Obstansersee Hütte

 

Frühstück gibt es auf den Hütten nur zu fixen Zeiten, also heißt es, um 6.30 Uhr aufstehen. Der Blick aus dem Fenster entschädigt mich jedoch sofort mit rosaroten Bergspitzen. 

Erste Gespräche entstehen am Frühstückstisch und wir finden vier  Wanderkollegen mit selbiger Route. Die Etappe geht von der Sillianer Hütte zur Obstanserseehütte, ca. 4-5 Stunden für ca. 9 Kilometer Gipfelpfad. Am Weg liegen das Hornischegg (Hornischeck) (2.551 m), das Hollbrucker Eck (2.573 m) und Mitteleuropa's höchstgelegener Kriegerfriedhof Hochgränten.

 

Gleich vor der Hütte erspähe ich einen Grenzstein von 1920 und erfahre, dass sie die Wasserscheiden als Grenze markieren, auf einer Seite ein „I“ für Italien und auf der anderen Seite ein geändertes „D“ zu einem „Ö“ ;-) Wir sind also die meiste Zeit mit einem Fuß in Österreich und mit dem anderen in Italien.

Am Weg begrüßen uns die Zackenkrone der Dreischusterspitze und die Drei Zinnen, die Sextener Sonnenuhr mit Neuner, Zehner, Elfer, Zwölfer und Einser. Weiter südlich der „Monte Peralba“ oder Hochweißstein und im Osten die filigranen Felszacken der friulianischen Dolomiten Hochgränten – aber auch die verfallenen Baracken und Schützengräben der tapferen Soldaten vergangener Zeit. 

 

Der blitzblaue Himmel ohne eine einzige Wolke über uns, vielfältigste Flora zu unseren Füßen. Und dazwischen der Ausblick auf die schönsten Bergspitzen Österreichs. Ich bin in einer anderen Welt – alles was sich da unten im Tal abspielt, ist unwichtig geworden. Ich fühle eine Ruhe und Einklang mit der Schöpfung in mir, wie schon lange nicht mehr.

 

Anfangs ist der Weg noch lieblich, wechselt aber dann von felsig-steinig mit Kletterpassagen wieder hinab zum Hochgräntensee, wo der Kriegerfriedhof liegt. Vier österreich-ungarische Soldaten sind hier begraben. Kaum vorstellbar, dass an diesem wunderschönen, jetzt so friedlichen Ort Kämpfe stattgefunden haben. Wir entdecken auch die Reste der Versorgungsseilbahn nach Hollbruck und einige Baracken, Lager und Schützenbunker.

 

Seltene Pflanzen, wie der Gletscher-Petersbart, begleiten uns über grobes Blockwerk neben den Gipfeln von Demut, Schöntalhöhe und Eisenreich mit seinem rostfarbigen Gestein. Wir sehen auch ein erstes Schneehuhn in den Felsblöcken und neben dem Pfad viele Eingänge in Murmeltierbauten. 

Tatsächlich grüßt uns der  Großglockner mit seinem mittlerweile nackten Felsgipfel, der Großvenediger und die höchsten Gletscher, die trotz der warmen Jahreszeit noch weiß heraus leuchten. 

 

Am Abstieg zur Obstanserseehütte wechselt das Gestein von Silikat zu Kalk. Der Pfad wird unwegsam und wir müssen mit den Oberschenkeln abfedern. Bisher bin ich immer ohne Stöcke gewandert, ich kann so schneller von Stein zu Stein steigen, aber auf längere Distanz ist es doch anstrengend und ich spüre bereits meine Oberschenkelmuskeln. Nach 40 Minuten abwärts sind wir beim Obstanzer See. Glasklares eiskaltes Wasser empfängt uns und kühlt unsere Füße. 

 

Die erste Hütte hier auf 2300 m wurde 1929 erbaut, 1942 eingenommen als Zollwachhütte, demoliert und 1949 von der Familie Bodner saniert und bis heute bewirtschaftet. Ein Kleinkraftwerk und eigene Kläranlage schafft Autarkie. Die Versorgung erfolgte früher mit Rücken-Tragen - heute mit Hubschrauber und ist dementsprechend teuer.

Die Bodner-Tochter führt hier freundlich, aber bestimmt mit zwei weiteren Mädls das Regiment. Der Hüttenwirt ist wortkarg im Hintergrund. 

Wir bestellen wieder Sodaradler – er wird unser Ankunftsgetränk, das Elektrolyte zurückgibt und wunderbar erfrischt. Ich erspähe Tiroler Graukäse mit Essig und Öl  in der Speisekarte und wir bestellen zwei Portionen – mmmmmmmhhhh – unglaublich lecker!!

 

Die beiden Hüttenkühe Mimi und Braundl sind zutraulich und nehmen gern die Schafgarbe aus meiner Hand. 

In der Nähe gibt es eine riesige Eishöhle, die jedoch nur mit Klettersteig ohne Sicherung erreichbar ist. Ich bezwinge meine Neugierde, als ich die Bilder sehe. Es wird auch ein Wanderer vermisst, der dorthin wollte. Der Hubschrauber sucht nach ihm, während er die Hütte versorgt. Und ich traue meinen Augen nicht, als er ein zweites Mal anfliegt ... was trägt er da am Lastenseil!!! (siehe Video!)

 

Die Hütte ist voll – teilweise mit Gästen, die nur für eine Nacht bleiben – andere beginnen erst hier ihre Etappe über den Einstieg von Kartitsch, so auch ein Sohn mit seinem Vater aus Ried im Innkreis, dem er die Wanderung als "Sohn-Zeit" zum Pensionsantritt geschenkt hat.

 

Unser Schlafplatz ist eng – wir sind in einem 5-Bett-Zimmer, wobei „Bett“ übertrieben ist! Es ist ein Matranzenlager mit 60 cm Breite pro Person.

Ein Kärntner Wanderkollege und Zimmergenosse meint: „Ich sag‘s gleich, ich schnarche!“ Worauf ich antwortete, „Kein Problem, ich hab da Erfahrung und mache dann ein lautes „TzTzTz oder ein scharfes Schschsch“! Er lacht und meint, „Ja, das hilft, das macht meine Freundin auch immer!“ – Damit ist das geklärt ;-) Ein junges holländisches Pärchen sind die anderen Zimmergenossen, die wir in Folge noch bei jeder Hütte treffen sollten. Sie haben sich viel Zeit genommen und wollen den gesamten Höhenweg gehen.

 

Ich versuche Milch von Mimi und Braundl mit Honig als Schlafgetränk, aber leider hilft es nicht viel – der Platz ist einfach zu eng und wir stoßen uns immer wieder gegenseitig an. So wird es eine sehr unruhige, nicht erholsame Nacht.

 

 

2. Etappe: Obstansersee Hütte – Porze Hütte

 

6.30 Uhr Tagwache...

...genau dann, als ich endlich hätte schlafen können.  

 Gefühlte 2 Stunden Schlaf bringen mich zu einer Tasse Kaffe und einer Schüssel Joghurt (von Braundl) mit Früchten. Gleich danach geht es zum steilen Aufstieg, vorbei am Rosskopf, über ein Geröllfeld zur Pfannspitze (2678 m). 

 

Aber es wartet ein Geschenk auf uns, das mich alle Müdigkeit und Anstrengung vergessen lässt...

Als wir auf das Geröllfeld einbiegen, ist vor uns kein einziger Wanderer und plötzlich hören wir Schneehühner schreien… und sehen – wir trauen unseren Augen kaum – unzählige Junge ganz ohne Hektik unseren Weg kreuzen!

Ich versuche, sie mit meiner Handykamera einzufangen (siehe Video).

 

Wir verbringen 15 Minuten mit den Schneehühnern, bevor sie außer Sichtweite sind. 

Dankbar und glücklich steigen wir weiter auf… es wird steiler… und wir müssen klettern. Ich habe die Kappe auf und stoße mir den Kopf an einem Felsvorsprung – tja – eine kleine Beule lehrt mich: Kappe seitlich drehen, damit man sieht, was ober einem ist 🙄

 

Am engen Gipfel sind 6 Leute schon zu viel. Dennoch setzen wir uns kurz hin, um die grandiose Aussicht zu genießen...

Dann geht es weiter am schmalen Grat des karnischen Kamms Richtung Großer Kinigat (2689 m)  – einen der markantesten Gipfel auf unserem Weg. 

Das sog. Europakreuz am Kinigat ist 7 m hoch und von 12 Sternen umrahmt. Es soll als Zeichen des Friedens und der Völkerverständigung dienen.

Bei der Kreuzeinweihung in beiden Sprachen wurde am Fuß des Bergkreuzes eine Gedenktafel angebracht mit der zweisprachigen Aufschrift: 

„Für ein geeintes christliches Europa in Frieden und Freiheit. Zum Gedenken an alle, die entlang dieser Grenze auf beiden Seiten gekämpft haben und gefallen sind. NIE WIEDER KRIEG !!!“ ( Papst Paul VI. )“

Seit 1979 steht nun das Europakreuz als Mahnmal auf dem geschichtsträchtigen Berggipfel und weitet den Blick nach allen Seiten mit dem Auftrag zu friedlicher und freundschaftlicher Begegnung.

 

Gleich hinter dem Kinigat und  seinem riesigen Schuttfeld, das es zu queren gilt, liegt die Filmoor-Standschützen-Hütte auf 2360m. Dort geht es immer fröhlich zu, denn der eiskalte Naturbrunnen ist immer mit Radler gefüllt. Man nimmt sich einfach und zahlt.  

Ich entdecke eine kleine Überraschung – eine Schaukel ist am Dachfirst der Hütte montiert mit Blick ins Tal... das lasse ich mir nicht entgehen ;-)

 

In den 1970er Jahren begann der Verein der Dolomitenfreunde unter der Leitung von Walther Schaumann mit der Wiederherstellung des Karnischen Höhenwegs. Dies erforderte auch die Errichtung bzw. Wiederaufbau von Schutzhütten. Im Zuge dessen wurde im Jahr 1976 mit dem Bau der Filmoorhütte durch Angehörige des Landwehrstammregiments 64 Lienz (das heutige Jägerbataillon 24 des Österr. Bundesheeres) und freiwilligen Helfern aus dem Verein der Dolomitenfreunde begonnen. Die Finanzierung erfolgte hauptsächlich durch die Sektion Austria. Zur Erinnerung an die Gefechte während des Gebirgskrieges im Juli 1915 um Filmoor und Kinigat und den unermüdlichen Einsatz der Lesachtaler Standschützen bekam die Hütte den Namen „Standschützenhütte“.

Anfangs wurde die Hütte von Bundesheerbediensteten betreut, bis sie die Sektion Austria übernahm. Die Haflinger des Bundesheeres versorgten fast 30 Jahre lang die Hütte mit Holz. 1990 wurde eine kleine Schlafhütte gebaut und 2000 kam der Sanitärtrakt hinzu.

 

Vroni bestellt sich Ziegenkäse und ich einen Apfelstrudel mit Kaffee, bevor es aus dem Bergsteiger-Flair wieder abwärts zum Stucken-See geht, der zum Baden einlädt. Dort verbringen wir einige Zeit mit Kneippbädern, um dann weiter zur Porzehütte aufzusteigen. Der steinige Weg aufwärts, abwärts und wieder aufwärts zieht sich. Es ist sehr heiß und mein Wasser geht dem Ende zu. Ich pflücke Himbeeren am Weg. 

 

Endlich auf der Porzehütte (2003 m) angekommen, zischt der mittlerweile obligate Sodaradler in unsere trockenen Kehlen, bevor wir in ein Zimmer mit einem anderen Paar einchecken. Hier hat sich ein Architekt überlegt, wie man in Mehrbettzimmern Privatsphäre schaffen kann und es gelang durch Doppelkojen, die in verschiedenen Höhen angeordnet wurden. Die Betten darin sind normal breit und ich darf mich auf eine gute Nacht freuen. 

 

Zwei Kletterer unter den Wanderern nehmen den Klettersteig über die Porze – der jedoch nur für Geübte geeignet ist und ihnen so manches abverlangt. Sie kommen auch zu spät zum Abendessen und erzählen bewundernd von einem jungen Italiener, der mit klappernden Geschirr am Rucksack über die Klettersteige an ihnen vorbei "geflogen" ist...

Das Essen ist gut und reichlich, sodass ein Kaspressknödel in die Hosentasche wandert für den nächsten Wandertag. Ich ahnte noch nicht, wie gut der schmecken würde.

Diesmal hole ich mir eine Duschmünze – bisher habe ich mich nur kalt gewaschen. Für 3,50 Euro bekommt man auf den Hütten 2-3 min. warmes Wasser – es genügt gerade, sich einmal einzuseifen und abzuduschen. Haarewaschen geht sich nicht aus. Letzendlich ist es auch egal.

 

Wir treffen nun schon bekannte Gesichter und sitzen nach dem Essen plaudernd und scherzend zusammen.

Alle wollen die Schneehühner sehen – aber ich finde sie nicht gleich auf meinem kleinen Handy – ich bemerke, dass man die Hühner auf Fotos absolut nicht erkennen kann, und so muss ich einige Scherze einstecken. „Morgen zum Frühstück zeig ich sie euch – und wenn ich die ganze Nacht suche!“

Es dauert dann nicht ganz so lange – und das Lachen geht mit Vroni in der Koje noch weiter, die mir suchen hilft – bis ich endlich das richtige Video finde und ins Land der Schneehuhn-Träume eintauchen kann… 

 

 

 

 

3. Etappe: Porze Hütte – Hochweißsteinhaus

 

6.30 Uhr. 

Herrlich geschlafen! Endlich!

Gut gelaunt geht es zum Frühstück – auch um den Schneehuhn-Beweis anzutreten, der gebührend anerkannt wird 😉

 

Die Augen von allen sind etwas verschwollen – es ist der niedere Luftdruck, den wir nicht gewöhnt sind. Ursa­che für solche Was­ser­ein­la­ge­run­gen ist nach heu­ti­gem Erkennt­nis­stand die hypo­ba­re Hypo­xie (Sauer­stoff­man­gel wegen nied­ri­gem Luft­druck). Die klei­nen Blut­ge­fäsße (Kapil­la­ren) bekom­men mikro­sko­pisch klei­ne Lecks, so dass aus dem Blut Flüs­sig­keit in das umge­ben­de Gewe­be abge­presst wird. Die­ses Was­ser schlep­pt man dann mit sich rum, wenn der Körper es nicht loswird. Jetzt weiß ich auch, wieso meine Nase nachts so verstopft ist und immer am Beginn unserer Wanderungen tropft. Die Luft in dieser Höhe ist extrem trocken.

 

Heute steht die lange Etappe zum Hochweißsteinhaus an. Es liegen knapp 20 Kilometer vor uns über teilweise schwierige Passagen. 8-9 Stunden reine Gehzeit – etwas langsamer und mit Pausen also 10 Stunden – das wird anstrengend bei der Hitze. Ich nehme 2 l Wasser mit, mehr kann ich nicht tragen, der Rucksack ist schon schwer genug.

Diesmal beginnt der Tag mit einem zähen Aufstieg zum Bergkamm hinauf. Oben führt der Weg zunächst mäßig steil über einen ehemaligen Militärweg hinauf zum Tilliacher Joch (2210 m). Vor uns die imposante Porzespitze und im Süden die Felszacken der Crode de Longerin. Nach etwa zwei Stunden erreichen wir das Bärenbadegg (2431 m) mit Blick auf den Großvenediger und Großglockner. Von hier geht es dem Kamm entlang auf österreichischer, oft auch auf der italienischen Seite weiter, über mehrere Gipfel und Törls.

Vom Steinkarspitz darf man sich auf etwa weitere 1,5 Stunden gefasst machen und ab dem Luggauer Sattel (2404 m) sind noch etwa 600 Höhenmeter bergab und etliche Höhenmeter steil bergauf bis zum Ziel, dem Hochweißsteinhaus auf „nur mehr“ 1868 m.

 

Der Weg ist lang. Das Wasser knapp. Den Füßen geht’s gut bis auf einen blauen Zehennagel. Die Schuhe sind für die langen Abwärtswege doch zu weich. Ich klebe mir die Zehe zu. Der Kaspressknödel schmeckt hervorragend auf der Steinkarspitze und ein paar Tutti frutti von Vroni versüßen den Ausblick, der mir immer wieder den Atem nimmt – so atemberaubend ist er! 

Wir treffen eine Herde kleiner Gebirgspferde, die mich sofort nach Chile in die Anden versetzen. Auch Lamas tragen dazu bei, dass ich mich gar nicht mehr in Österreich wähne und wir tauschen während des Gehens immer wieder Reisegeschichten aus. 

 

Einige Klettersteige liegen am Weg und die Pfade in den Steilwänden bin ich bereits gewöhnt. Auch die steilen Kletterwände gehen ganz gut. Ich denke bereits, ich hätte das Schlimmste hinter mir – bis die Steilwand über den Luggauer Böden in Sicht kam. Der schmale Pfad ist völlig „ausgesetzt“ ohne Schutz in der Bergwand, die mehrere hunderte Meter steil abwärts geht. Vroni lässt mich nicht lange überlegen – „Das geht schon! Ist nicht so schlimm, wie es aussieht!“ Ich schalte meine Gedanken ab und vertraue mich dem Berg an. An einer Stelle muss man einige Stufen hinuntersteigen – eine Tafel ist hier in der Wand „Die Liebe besiegt den Tod – Barbara Koch abgestürzt 2016“ – „Das ignoriere ich jetzt“ sage ich zu Vroni hinter mir und turne tapfer weiter. Doch dann... der Pfad war abgerutscht – nur zwei Trittflächen in Fußgröße waren vorhanden und man musste einen großen Schritt über den Abgrund auf einen schrägen Felsen ohne Sicherung machen, um auf die andere Seite zu kommen. 

„Scheisse.“ kam es aus mir heraus. Bisher war immer ich voraus gegangen – aber jetzt bitte ich Vroni mich zu überholen, was bei dem schmalen Pfad auch nicht einfach ist. Auch sie muss erst suchen, wie es gehen könnte… und zu sehen, wie sie es schafft, motiviert mich. – Ich steige auf die zwei kleinen Trittflächen, fasse mir ein Herz, und mache den großen Schritt auf den schrägen Fels – mit nichts unter mir. Nur meine Schuhsohlen und Finger halten mich im Berg. Eine völlig neue Erfahrung für mich in einer so ausgesetzten Lage. Wohin greifen? Vroni feuert mich an… und irgendwie bin ich plötzlich auf der anderen Seite!

Pfffff…. Das ist meine Grenzerfahrung in dieser Woche – eindeutig. Ein kurzes Danke an den Berg und weiter geht es. Die Gedanken bei dem Schild von vorhin. Barbara ist nicht alt geworden. Ich schicke ihr im Stillen einen Gruß. Vielleicht ist sie ja hier noch der Guardian Angel, der uns leitet.

 

Nach 8 Stunden kommt der Hochweißstein-Fels ins Sicht mit seinem Geröllfeld. Ein Klax. Vroni macht Pause an einem kleinen Teich. Die Sonne wird flacher und wir haben noch einen unwegsamen Abstieg und steilen Aufstieg vor uns. Dennoch sind wir fröhlich über das Geschaffte. Ich binde meine Schuhe so eng es geht und hole erstmals die Stöcke raus. Ich will versuchen, meine Zehen zu entlasten. 

Der obere Weg ist mit „ev. eisige Schneefelder“ ergänzt, sodass wir den unteren Weg nehmen. Ein ausgewaschener Felspfad geht in kleinen steilen Serpentinen bergab… die Stöcke helfen nicht wirklich, ich gehe in die Knie und ignoriere meine Zehe.

Schafe kreuzen unseren Weg und endlich sind wir unten angekommen, um den letzten Aufstieg für heute in Angriff zu nehmen – ich freue mich darüber, denn bergauf sind meine Zehen entlastet. Mittlerweile habe ich die Aufstiege schon lieber, als die Abstiege. 

 

Die Hütte versteckt sich gut bis zuletzt. Auch sie hat Geschichte. 1927 von der Sektion Austria des österreichischen Alpenvereines errichtet, wählte man die Weggabelung von zwei ehemaligen Saumpfaden, die über den Karnischen Alpenhauptkamm hinweg nach Süden führten und schon vor den Römern genutzt wurden. Der Name kommt von dem alten Wort „Saum“ für „Last“. Es sind Wege, die für Wagen oder Gespanne zu steil sind. Die „Säumer“ (Lastenträger) aus alten Zeiten transportierten hier ihre Güter mit Maultieren.

Diese waren für den Warenverkehr nach Italien sehr wichtig und führten über die Pässe in das südwärts gelegene Tal des Piave hinunter. Der vom Hochweißsteinhauses nach Südosten abzweigende Pfad führte über das Öfenerjoch nach Forni Avoltri, während der in südwestlicher Richtung abzweigende Pfad zum Hochalplpass und von dort nach Sappada/Bladen führte. Über diese beiden Wege wurde Holz aus dem Lesachtal zum Teil bis nach Venedig transportiert.

Erster Pächter der Hochweißsteinhauses und Initiator des Hüttenbaues war Adam Salcher, ein Gastwirt und Bergführer aus dem Lesachtal. Dieser hatte während des Ersten Weltkriegs in der Umgebung der Hütte im Aufgebot der Standschützen seinen Dienst getan. Einige alte Schilder erinnern an vergangene Zeiten. 

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Hütte durch mehrere Plünderungen schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Das Hütteninventar wurde großteils zerstört. Weitere Schäden an der Hütte traten 1975 auf, dieses Mal allerdings durch einen Lawinenabgang. Über 60 Jahre lang bewirtschaftet nun schon die Familie Guggenberger das „HWH“ und machte die Hütte durch die besonders gute Küche mit regionalen Speisen und ausgewählten Getränken bekannt.

 

Das war nicht zuviel versprochen – die Wirtin begrüßt Vroni als alte Bekannte und das Abendessen ist das kulinarische Highlight des ganzen Weges. Ich esse seit über 20 Jahren kein Fleisch mehr außer Fisch und Wild im Winter. Doch nach den letzten Etappen wähle ich ein Geschnetzeltes vom Almochsen – und stelle mir vor, wie seine Kraft auf mich übergeht – sein Fleisch ist hauchzart und aromatisch von den Bergkräutern. Die Wirtin ist bekannt für dieses Gericht und ich genieße es dankbar und glücklich. 

Allerdings stehen auf der Speisekarte noch ganz andere Dinge, die uns so manchen Lacher entlocken und wir sitzen noch mit den anderen Wanderkollegen lustig beisammen, bis die Wirtsstube leer wird. (Was gegen 21.30 der Fall war ;-))

 

Diesmal schlafen wir mit zwei jungen Mädls in einem Zimmer – leider haben sie bereits die beiden unteren Betten der Stockbetten belegt und wir müssen nach oben. Doch nach den Klettersteigen der letzten Tage ist das ein freudiges Unterfangen, auch wenn es nachts beim Klogang mit Taschenlampe sein muss. 

 

 

 

 

4. Etappe: HWH – Wolayersee Hütte

 

Tagwache 6.45 Uhr.

Wir sind mittlerweile so schnell, dass wir in 10 Minuten alles beisammen haben, sodass wir schon länger schlafen können. Allerdings ist der Morgen-Betrieb vor der Tür und auch im Zimmer so laut, dass es sowieso nicht möglich ist. 

Das Frühstück ist gut und reichlich. Es gibt überall mehr oder weniger das gleiche übliche Frühstücksbuffett – hier allerdings echten Bergkäse. 

Ich staune, wieviel manche Burschen in sich aufnehmen können und stecke mir ein Käsebrot mit Salatgurke in die Hosentasche für mittags. Unterwegs bringt das Brot mehr als die Energy-Riegel, die nur durstig machen. 

 

Wir verlassen das Hochweißsteinhaus und die nächste Etappe beginnt mit dem Anstieg zum Öfenerjoch. Von dort steigen wir ab ins liebliche Fleonstal, vorbei an der mächtigen Kulisse des Monte Avanza zur Fleons und Sissanis Alm. Von dort ein weiterer Anstieg durch den Talkessel bis zum SissanisSattel mit Tiefblick auf den Lago Bordaglia. Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Giramondopass mit Blick auf den Säbelspitz.

Jetzt sind wir lange Zeit in Italien unterwegs, durch bewaldete Täler, Almen – und auch dort ist es nicht leicht den Weg zu finden. Zweimal rufen wir Wanderkollegen auf den rechten Weg, den Vroni schon kennt.

Und immer dann, wenn man meint, es ist nur noch leicht – wird man eines Besseren belehrt. Wieder ist der Pfad weggeschwemmt – wir müssen über einen Schotter-Erdrutsch durch einen Gebirgsbach klettern… jetzt bin ich diejenige, die locker voraus klettert – ist mir das doch von den Vulkanbesteigungen auf  meinen Reisen gut vertraut 😇.

 

Wir erreichen eine alte italienische Alm – sehr malerisch aus Stein erbaut und genießen kurz die Aussicht, bevor es durch einen Lärchenwald bergauf zum Sattel geht. Wasser wird wieder knapp, ich dusche im Bach und ziehe mehrmals meine Kappe durchs kalte Gebirgswasser – auch eine Technik aus heißen Ländern.

Am Weg liegen Schafskelette, sodass das Wasser aus dem Bach eher nicht trinkbar ist. Auch der See nach dem Sattel ist wenig einladend von Kuhfladen umgeben. Auf Texttafeln liest man in drei Sprachen die kriegerischen Vorfälle 1917 an diesem malerischen Ort. 

 

Wieder geht es über ein langes Schuttfeld unter der heißen Sonne zum Giramondopass, wo sogar noch das alte Staatsgrenzenschild steht. Der Giramondopass (2005 m) ist ein riesiges Hochplateau mit Felsen und kleinen grasbewachsenen Tälern. Er ist irgendwie mystisch und vollkommen ruhig... eine eigene Stimmung herrscht hier vor.

 

Der Abstieg zur Oberen Wolayer Alm und von dort noch ein Aufstieg von 300 Höhenmeter sind zu bewältigen. Wir „reisen“ also wieder in Österreich ein und nehmen den Weg zur Wolayerseehütte. Sie ist die letzte Übernachtung für uns. Davor wieder laaaaaange steil bergab (hallo Zehe!) auf den üblichen ausgewaschenen Steinserpentinen, dann quer durch große Geröllhalden zur oberen Wolayeralm – auf die ich mich schon sehr freue, soll es dort doch Getränke und Erfrischungen geben! 

Schon während es Hinwegs beschleicht mich eine Ahnung (ich habe manchmal solche Eingebungen) und tatsächlich – es ist geschlossen! Aber meine Gebete für frisches Quellwasser wurden erhört – die Wasserleitung zum Brunnen ist noch offen!

Wie kleine Kinder tauchen wir in das kühle Nass ein. Ich kühle meine Füße in einem Eimer eiskaltem Wasser und wasche meine zweiten Socken aus. Dabei beobachte ich fette Murmeltiere, die sich sonnen und ihren Winterspeck anfressen. Vroni lässt ihre Füße auch kühles Nass und grünes Gras spüren.

Ich trinke 2 Flaschen Wasser auf einen Sitz aus und nehme noch ein wenig mit, denn jetzt ist es nur noch eine Stunde bergauf. Wir schauen zum Biegengebirge und dem Kessel, der von den mächtigen Felstürmen der Karnischen Alpen gebildet wird. Die Seewarte thront über allem. Ich beginne, Wanderlieder zu singen, was Vroni sehr amüsiert. 

 

Im Schatten der Seewarte begrüßt uns die Wolayerseehütte und der Blick auf den klaren und türkisblauen See scheint beinahe unwirklich. Im Wolayersee liegen noch unzählige Kriegsrelikte. Damals lieferten sich hier italienische und österreichische Truppen erbitterte Gefechte – die Italiener mit ihren Stellungen an der Südseite, die Österreicher im Norden des Sees. Man sieht noch die Stollen und Tunneleingänge.

 

Der Hüttenwirt begrüßt uns als Bergwanderführer-Kollegen, kennt er als Bergretter doch alle Ausbildner in Kärnten und wir tauschen einige Scherze aus. Er gibt uns ein 3-Bett-Zimmer gemeinsam mit Gusti – Vroni’s Kollegin und Freundin, die uns bis hierher entgegen kommt und ihr Auto an der Unteren Valentinalm stehen hat. Aber als erstes bestellen wir unseren üblichen Sodaradler und genießen ihn mit dem überwältigenden Blick auf den türkisen Gebirgssee...

 

Beim Abendessen rutschen wir zusammen und feiern in einer lustigen, großen Tischrunde den letzten Hüttenabend.  

 

 

5. Etappe: Wolayersee Hütte – Untere Valentinalm

 

Die Nacht ist kurz und nach einem diesmal späteren Früjhstück (7.30 Uhr!) starten wir – jetzt gemeinsam mit Gusti – die letzte Etappe zur Valentinalm.

Entlang des Seeufers und über schneefreie Geröllhalden wandern wir über den 400 Millionen Jahre alten Meeresboden hinauf zum Valentintörl. Gusti ist leidenschaftliche Fotografin und Tierliebhaberin, sodass wir einige Pausen einlegen. Aber nun haben wir es nicht mehr eilig. Vroni erzählt wieder einiges zu den Bergen:

 

Hier liegt eingebettet im Kellerwandmassiv (Wolayersee) - der südlichste Gletscher Österreichs, der Eiskargletscher. Die fesselnde Naturgeschichte begann vor rund 500 Millionen Jahren. Damals lagen die ältesten Gesteine dieser Bergketten noch auf der anderen Seite unserer Erde. Seither haben sie eine wahre Odyssee um den halben Globus hinter sich. Im Perm vor ca. 270 Mill. Jahren überquerten die Kontinentschollen den Äquator und drifteten bis in die Erdneuzeit in heutige Breiten, um schließlich vor rund 20 Millionen Jahren allmählich zum heutigen Gebirge aufzusteigen.

Im Eiszeitalter, das vor rund 1,8 Millionen Jahren begann, verlieh das Eis der Landschaft den letzten „Feinschliff“. Nach dem Höhepunkt der letzten Vereisung vor 22 – 18.000 Jahren wurden bei zunehmender Wärme die bis 1000 m dicken Eisströme rasch abgebaut und die kahlen Steinwüsten zuerst von Pionierpflanzen besiedelt, denen ab ca. 14.000 – 13.000 vor heute die Wiederbewaldung folgte.

Für die Geologie sind besonders die massigen Korallenriffe der Kellerwandund Hohe-Warte-Region in kürzester räumlicher Distanz zu Tiefseekalken rund um den Wolayersee weltweit einzigartig. Die Wanderroute „Geo-Trail“ verbindet einige an Fossilienvorkommen reiche Bergwege und ist der längste geologische Wanderweg Europas.

 

Es ist geschafft – am Valentintörl (2138 m) blicken wir auf den höchsten Gipfel des Karnischen Höhenwegs - die Hohe Warte (2780 m) mit ihrer Friedensglocke. Wir halten inne und genießen die friedliche Stimmung...

 

Früher war hier alles noch mit Schneefeldern gefüllt, an deren Rändern man wanderte. Heute müssen wir unten in der Geröllrinne dahinturnen. Es geht durch das imposante Valentintal, das links und rechts von den hohen Kalkfelsen eingezäunt ist und endlich kommen wir unten an, wo der Weg wieder lieblicher durch grüne Gräser führt. Hier sehen wir auch viele Murmeltiere und wir werden nicht müde, sie zu beobachten. Vroni weiß einiges über sie.

Der Name „Murmeltier“ hat nichts mit der Murmel oder dem Verb „murmeln“ zu tun. Er geht auf das althochdeutsche „murmunto“ zurück, das wiederum aus dem lateinischen „mus montis“ („Bergmaus“) entlehnt ist. Das weibliche Murmeltier wird „Katze“, das männliche „Bär“ und Jungtiere „Affe“ genannt. Sie gehören zu der Gattung echter Erdhörnchen und werden bis zu 7 kg schwer und 15 Jahre alt. Sie leben in Familienverbänden und bringen nach einer Tragzeit von dreißig Tagen zwei bis fünf Junge zur Welt.

Murmeltiere bauen sehr ausgedehnte Gangsysteme bis zu 70 Meter Länge, welche aus Fluchtröhren und separatem Dauerbau bestehen können.

Im Winter halten Murmeltiere sechs bis neun Monate  Winterschlaf in mit Gras ausgepolsterten "Schlafkesseln". Für die lange Ruhezeit fressen sie sich während der kurzen Sommermonate große Fettreserven an. Ihre Nahrung sind Gräser und Kräuter, seltener Früchte, Samen und Insekten. Während sie schlafen, sinkt die Atmung auf etwa zwei Züge pro Minute und der Herzschlag von 200 auf 20 Schläge pro Minute. Das Erwachen wird über die Außentemperatur ausgelöst.

Wir kennen die Murmeltiersalbe, die mit ihrem Fett hergestellt wird und  in der Volksmedizin gegen Husten, Magenleiden, Übelkeit, zur Blutreinigung oder allgemein zur Stärkung; äußerlich gegen Gliederschmerzen, Frostbeulen oder Sehnenzerrung eingesetzt wird.

 

Wir steigen nun begleitet von zahlreichen Murmeltierkolonien zur Oberen Valentinalm ab. Der Pfad führt uns immer tiefer, in Wälder hinein, die Gebirgsbäche werden zu kleinen Flüssen, die Vegetation wird üppiger und bunter. Die Luft immer wärmer. 

Die letzten Meter noch und wir sind an der Unteren Valentinalm (1.220 m) angekommen!

 

Auch hier treffen wir Wanderkollegen und freuen uns über eine Riesenportion Kaspressknödel mit Salat, begleitet von ein paar Späßen mit den Wirtsleuten. Ich lade auf die Getränke ein und bedanke mich für die wunderschönen Tage, die doch auch sehr herausfordernd waren. Wie immer nach einer solchen Zeit mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

 

Der Karnische Höhenweg geht noch ein Stück weiter, jetzt mit leichteren Etappen auf geringerer Höhe über Almen und findet sein Ende am Kapin (1528 m) bei Thörl Maglern. Wir beschließen, ihn bei Gelegenheit zu vollenden und auch andere Wege gemeinsam zu gehen.  

 

Am Heimweg habe ich das Gefühl, mindestens ein Monat weg gewesen zu sein – nicht nur ein paar Tage.

Unglaublich, wie erfüllt jeder Tag war und wie auch ich mich dabei verändert habe…

 

Es war unbeschreiblich schön - wie in den Anden… Lamas, Schafe, Pferde getroffen und auf Du und Du mit den ganz hohen Bergen… auf 2700 m - jeder Schritt eine Entscheidung… immer nahe am Abgrund... volle Konzentration über Stunden - Tag für Tag. Die Geschichte ständig vor Augen geht jeder Wanderer für den Frieden. Am Friedensweg - Via della Pace - der Alpen.

 

Vom Plöckenhaus zur Dellacher Alm (2024)

 

„Es gibt noch freie Betten auf der Zollnerfeldhütte – wollen wir?“

Vroni und ich warten auf einen geeigneten Zeitpunkt, um die restlichen schönen Etappen des KHWs abzuschließen. Im Juni machte uns eine mächtige Tiefdruckfront einen Strich durch die Rechnung, aber jetzt tat sich ein Fenster auf. 

Die hochalpinen Etappen von Sillian bis zur Valentinalm erwanderten wir im letzten September –  bei einem herrlich wolkenlosen Herbsthimmel. Ein unvergessliches Erlebnis.

 

Nach einer Yogaverletzung beleidigte der letzte Vierbergelauf mein rechtes Knie und darauffolgende Wanderführungen machten es beim Abwärtsgehen schlimmer. (Miniskuseinriss und Padellasehne). Daher war ich mir nicht sicher, ob es schon möglich sein würde, den KHW weiterzugehen – wollte es aber probieren. Und dank meines wundertuenden Physiotherapeuten* (Hallo Dirk!) konnte ich es wagen. 

 

Um 5.00 Uhr läutet mein Wecker, um 5.30 starte ich mein Auto und um Punkt 7.00 Uhr komme ich bei Vroni in Tröpolach an, die mich mit Kaffee und Croissant empfängt. Um 8.00 Uhr starten wir unsere Etappe. Der Plöckenpass ist wegen eines Bergrutsches schon längere Zeit gesperrt, sodass es hier keinen Verkehr mehr gibt.

Am Weg vom verlassenen Plöckenhaus aufwärts erinnert wieder vieles an den 1. Weltkrieg. Man sieht alte Stellungen, Stollen, Baracken und Befestigungen für Geschütze. 

 

Info von Vroni zum GeoPark "Vom Urknall zum Gailtal"

Die Natur hat im Gailtal ein Bilderbuch der Erdgeschichte geschrieben, die hier fast 500 Millionen Jahre zurückreicht. Die Zeugnisse der Vergangenheit sind zu Stein geworden. Seit Beginn des 19. Jht hat die Karnische Region Erdwissenschaftler aus allen Teilen der Welt angezogen. Es gibt kein anderes Gebiet in den gesamten Alpen, in dem so reiche Zeugnisse aus dem Erdaltertum erhalten geblieben sind.  Zu den Naturschätzen gehören nicht nur Gesteinsformationen mit den darin enthaltenen Fossilien, sondern auch unzählige Naturdenkmale wie idyllische Bergseen, geheimnisvolle Klammen oder tosende Wasserfälle.

 

Lieblicher ist der Grünsee – ein ehemaliges Ferienparadies. Danach beginnt der steile Anstieg – und damit auch der Schweiß zu rinnen.

Wenn es im Tal 34 Grad hat, sehnt man sich nach kühler Höhenluft. Doch auch auf 2000 m hat es derzeit immer noch 26 Grad! Und bei der Etappe vom Plöckenhaus zum Köderkopf steil bergauf – da kommt schon manchmal die leise Frage auf, warum man sich das ausgerechnet jetzt in der größten Sommerhitze antut. Doch ein Blick auf die umliegenden Gipfel erstickt diese Frage im Keim und lässt alle Anstrengung vergessen.

 

Es geht in Richtung Spielbodentörl. Teilweise durch Wald und Wiesen in steilen Kehren aufwärts bis zur Oberen Spielbodenalm (1831 m). Ein Blick zurück zeigt uns unseren Weg über das Valentintal und das imposante Massiv der Hohen Warte. Ich bin immer wieder erstaunt, welche Entfernungen ein Mensch zu Fuß zurücklegen kann.

An einem eiskalten Brunnen füllen wir unsere Trinkflaschen auf und geben unserem Körper das verlorene Wasser zurück. Laut Wetterbericht soll es sonnig bleiben und erst nachmittags leichte Regenzellen vom Norden her geben – aber ich sehe im Süden über Italien Wolkentürme wachsen. Ob sie herüberkommen? Im Regenradar wurde nur eine Nordströmung angezeigt.

 

Wir gehen über schmale Pfade weiter zur verfallenen Oberen Tschintemuntalm und den steileren Anstieg zum Ködertörl und Köderkopf (2150 m). 

Auf unserem Weg zum Gipfel entdecke ich viele wunderschöne Bergblumen in voller Pracht – der Graue Alpendost, Blauer Lattich (der meistens weiß ist ;-), den steifhaarigen Löwenzahn mit fetten Stielen, das hellgelbe Schwefelkörbchen, die Silberdistel und viele mehr. Wir sind bisher ganz allein, niemand begegnet uns. 

https://physiodirk.at/

Am Gipfel angekommen, machen wir kurz Rast und essen ein paar Happen Brot mit Gurken und Tomaten – den Blick voraus auf die Kärntner Berge gerichtet… Über uns kreisen zwei Adler. 

 

Als ich mich nach 15 Min. umdrehe, war aus den Wolkentürmen eine schwarze Wand geworden und das erste Donnergrollen ist zu hören. Offenbar schickt sich die Gewitterfront entgegen den Voraussagen an, doch in den Norden zu ziehen – geradewegs auf uns zu. Von meinen Schiffsreisen kenne ich diese Walzen nur zu gut und mein Bauch sagt mir, dass sich der Abstieg in die nächste Klamm nicht mehr ausgehen wird. Die Schützengräben sind zugewachsen, die alten Kriegsmauern verfallen – sie bieten keinen Schutz mehr. Auf dem ganzen Gipfel gibt es nur einen einzigen Felsen, der gegen die Gewitterfront schützen könnte. Und mittlerweile sehe ich schon die Blitze und der Donner wird bedrohlich laut. Also nix wie zum Felsen! 

Wir kauern uns ganz nah an seine wetterabgewandte Seite und warten. 

Wie riesige Krallen greift die Gewitterwolke über den Berg und hüllte ihn in Nebel. Die Blitze kommen näher – und ich hoffe, dass keiner in unserer Nähe einschlagen würde. Jetzt schlägt einer auf dem Gipfel neben uns ein. Ein markerschütternder Donner folgt. 

Ich habe schon viele Gewitter auf See erlebt und auch da sah ich die Blitze rundherum ins Meer einschlagen. Erinnerungen kommen hoch… 

Auch jetzt schlägt der Blitz nicht in den höchsten Punkt ein – ein Aberglaube, der sich immer noch hält.

 

Einige Minuten sind schlimm, aber dann zieht das Gewitter weiter… nach 20 Min. ist alles vorbei, es wird heller und der Regen hört auf. 

Wir danken dem Felsen, dem Berg und den Wettergöttern, packen zusammen und machen uns an den Abstieg, froh alles gut überstanden zu haben.

 

Jetzt treffen wir auf weitere Wanderer. Alle froh, das Unwetter gut überstanden zu haben. Ein junges Pärchen hatte weiter unten, unter einem Busch Schutz gesucht – „ich dachte, ich muss sterben!“ erzählt die junge Frau, „So etwas hab ich noch nie so hautnah erlebt!“. Ja, mit Gewitter am Berg oder auf See ist nicht zu spaßen. Wir geben als Bergwanderführer ein paar Tipps weiter, wie man sich bei Gewitter verhält, wenn kein Schutz in der Nähe ist und nach und nach lacht sie wieder.

Wir gehen weiter abwärts als ein durchdringender Pfiff ertönt. Zwei Murmeltiere geben Warnrufe ab. Sie stehen lange unbeweglich und beobachten uns. Falken nisten in einer Steilwand… Unser Weg zur nächsten Hütte ist noch lang, über Klammen, Almen und an Felshängen entlang... ein weiteres Gewitter zieht an uns vorbei. Aber hier ist keine Gefahr.

 

 

 

Vroni zeigt mir die Frondell Alm. Dieses Almgebiet war im Ersten Weltkrieg eines der umkämpftesten Gebiete und bekannt für den längsten Schrägaufzug, der während des Krieges gebaut wurde. Heute ist die Alm als westlichste Gailtaler Almkäse-Alm bekannt.

Über die Kammhöhe, weite Wiesenmulden und durch einsame stille Landschaft gelangen wir zur Oberen Bischof-Alm (1573 m). Sie war lange nicht bewirtschaftet, aber jetzt empfangen uns wunderschöne Pferde und die typische Almmusik unzähliger Kuhglocken, die wie Kirchenglocken durcheinander läuten. Wir erfrischen uns im glasklaren Almwasser. In einem Brunnen gibt es Radler für € 3,- aber wir hielten uns an den kleschkalten Brunnen.

Es geht weiter steil bergauf durch eine Klamm, dann durch eine Moorlandschaft und endlich ist die Zollnerfeldhütte mit ihrer Gedenkkirche (1738 m) in Sicht! 

Welch eine Wohltat, die Schuhe auszuziehen und die mittlerweile angenehmen Sonnenstrahlen zu genießen! Mit Gewitter und Pausen waren wir insgesamt 9,5 Std. unterwegs. Unser mittlerweile schon traditioneller "Soda-Radler" schmeckt herrlich ;-)

Ich erkunde die Gedenkkapelle und entdecke alte Gedenktafeln verstorbener Soldaten, die jedoch nicht alle im Kampf gefallen waren. Die Todesursachen wurden genauestens aufgelistet...

 

Es ist nicht so viel los, wie wir erwartet hatten und wir genießen in netter Wandergesellschaft das köstliche Abendessen. 

Die Nacht entpuppt sich allerdings als sehr anstrengend, denn der Wirt war ausgeflogen und ließ seine Hündin zurück – die wiederum eine »Blitzfängerin« ist, wie wir am nächsten Tag erfahren sollten. 

Und als diesmal aus dem Norden ein Gewitter aufzieht, beginnt sie zu bellen – was bis 1:30 Uhr kein Ende nimmt. Ein schlimmes Gewitter geht über uns nieder, trommelt auf und rüttelt an dem Blechdach – an Schlaf ist nicht zu denken. Und als es dann endlich vorbei ist, beginnt ein Bettnachbar hingebungsvoll zu schnarchen. Wenig später seine Frau gleich mit. Alles »tststs« und »tktktk« nützen nichts. Und so ist mein Schlaf auf maximal 3 Stunden beschränkt...

Als sich der Himmel im Osten heller färbt, beobachte ich den Sonnenaufgang über dem markanten Reißkofel – und das versöhnt mich wieder ein wenig mit meinem Schlafdefizit. Eine Fledermaus fliegt am Fenster vorbei.

Das Frühstück um 6.30 Uhr ist reichlich – ich nehme Müsli und packe ein Brot ein.

Die Hündin schläft friedlich unter der Bank ;-) kein Wunder.

Eine Herde Hochlandrinder verabschiedet uns und es geht rauf durch das Hochmoor und Almrauschsträuchern zum Zollnersee. Welch ein Anblick!

 

Info von Vroni zum Zollner See:

Die Mulde die vom See ausgefüllt wird, entstand vermutlich durch Toteis im untergelagerten Gestein. Der ca. 1 ha große See ist maximal 2,8 m tief. Im Sommer kann die Wassertemperatur auf 20° Celsius ansteigen, im Winter ist eine Eisdicke von 1 m keine Seltenheit. Feuchtgebiete, Moore, Schutthalden, sanfte Hügel und schroffe Berge prägen dieses Gebiet. Kaum eine andere Almlandschaft in den Karnischen Alpen ist so schön und vielfältig. 

Am südseitigen Ufer entlang erkunden wir das Moor und steigen dann leicht bergab und bergauf bis kurz unter den Nölblingpass (Lodinutpass auf 1817m).

Der Pfad führt uns weiter durch die Nordflanke des Findenigkofels und ist, im Gegensatz zum hochalpinen Teil, verwachsen, sodass man die senkrechte Tiefe nicht sehen kann. Auch hier sind ein paar Stellen weggebrochen – und die Felsen sind nach dem Regen noch glitschig. Ich erinnere mich an die Luggauer Böden in der ersten Etappe – als ich über eingeschlagene Winkeleisen im Fels balanciere (mittleres Bild) – nur einen Fußbreit vom Absturz entfernt. Ich staune, wie gelassen ich es nehme und schreibe es der üppigen Pflanzenwelt zu, die mir die Illusion eines Halts gibt.

Vroni meint, dass sich der Weg in den letzten Jahren sehr verändert hat - es ist nachvollziehbar, wie es in den Bergen durch die Witterung arbeitet und die Wege immer instabiler werden.

 

 

 

Wir erreichen beim Waideggeralm-Sattel (1820 m) wieder eine kleine Hochebene und durch einen Zaun geht es wieder auf der italienischen Seite weiter über Wiesen und Schotterfelder zu einem steilen, ausgewaschenen Felsbrockenweg abwärts, der meinem Knie zu schaffen macht. Auf der Straniger Alm genehmigen wir uns ein Glas Buttermilch ;-).

 

Danach geht es wieder bergauf über eine geschotterte Fahrstraße, bis der Pfad in Richtung Cordin Grande, zum Kordinsattel (1749 m) auf italienischer Seite abzweigt. Gemütlich wandern wir über die Wiesen der Großkordin-Alm, vorbei an der Abzweigung zum Hochwipfel entlang der Ringmauer. Alte Kavernen an der Felswand erinnern an die Geschehnisse im Ersten Weltkrieg.

Der KHW führt weiter zum Rattendorfer Sattel (1783 m), über eine Felsmauer mit Blick Zottachkopf und Trogkofel – weiter über ein Schotterkar zum Rudnigsattel. Zum Nassfeld geht ein Geröllgraben zum Aqua Park runter, den ich meinem Knie noch nicht zumuten kann, daher steigen wir zur Alm ab. Und wie das Leben so spielt, kommt eine Mitfahrgelegenheit mit einem Förster zu uns, der uns nach Tröpolach mitnimmt, wo wir mit dem Millenniumexpress wieder zum Nassfeld rauffahren. Für mich eine Premiere.

Info von Vroni zum Nassfeldpass:

Bis ins 16. Jahrhundert war der Nassfeldpass eine bei Kaufleuten beliebte Alternative zu den Pässen von Saifnitz (Nähe Tarvis) und Predil. Als diese Pässe Fahrstraßen erhielten, verlor der nur mit einem, noch dazu schlecht unterhaltenen, Saumweg ausgestattete Nassfeldpass an Bedeutung. Zeugnis dessen sind die Unterlagen, die es von den Zolleinhebungsstellen am Nassfeld gibt. Um den Nassfeldpass wieder aufzuwerten, gab es bald zahlreiche Ausbauprojekte, so etwa 1640 von einem Grafen Widmann. Dieser Plan wurde genauso wenig ausgeführt wie ein anderer Plan aus dem 18. Jahrhundert. In diesen Berichten wird der Nassfeldpass noch als „Kreuzen“ oder „Pass an den Lanzen“ bezeichnet. Erst im Laufe des Ersten Weltkriegs, in dem der Nassfeldpass Kriegsschauplatz war, wurde die Nassfeldstraße als Militärstraße ausgebaut. 

 

Die Kärntner Wulfenia 

Alle, die sich für Bergblumen interessieren, erwartet im Juni / Juli am Nassfeld eine einzigartige Blume, die Wulfenia. Die blaublühende Wun­derblume Kärntens ist strengstens geschützt. Sie wächst in dieser Art nur hier, Unterarten sind noch im Himalaya und in Albanien bekannt. Botani­ker kommen jährlich aus aller Welt, um diese Pflanze zu be­wundern und zu fotografieren. Das Wachstumsgebiet befindet sich am Fu­ße des Gartnerkofels.

Mit etwas Glück, findet man sogar eine der seltenen weißblühenden Exemplare. Der Name Wulfenia ist auf ihren Entdecker Franz Xaver Frei­herr von Wulfen zurückzuführen. Er hat vor über 220 Jahren diese „neue blaue Pflanze, die kein Botaniker je zuvor gesehen oder beschrieben hat“, im Gebiet des Gartnerkofels entdeckt. Sie ist ein Braunwurzgewächs, eine ausdauernde Rosettenpflanze und erreicht Wuchshöhen von 30 bis 40 cm. Die Gliederung der Gattung in Arten und Unterarten ist seit längerer Zeit umstritten und noch immer nicht ganz erforscht. Wenn auch die einzelne Pflanze nicht auffallend schön wirkt, bleibt doch der Eindruck eines blühenden Wulfeniabestandes unvergesslich, besonders wenn er im Kontrast zum benachbarten Almrausch und den weißen Kalkfelsen des Gartnerkofels steht. (Bilder Wikipedia, Pinterest)

Am nächsten Tag lassen wir das Nassfeld hinter uns, gehen gemütlich bergauf, vorbei am Auernig und Garnitzenberg zur wunderschönen Garnitzen Alm, wo wir uns mit einem eiskalten Zitronenwasser erfrischen.

Über die alten Almwiesen zwischen Murmeltieren wandern wir entlang des imposanten Gartnerkofels wieder Richtung Italien zum Col della Spalla. 

Das Gebiet wird felsiger und wir steigen über einige abgerutschte Übergänge, die von Wildwassern mitgerissen wurden zu einer feuchten mystischen Schlucht, wo ich nach vielen Jahren endlich wieder Bärlapp entdecke!

 

Durch einen sehr in Mitleidenschaft gezogenen Wald kommen wir über die verlassene Stutenbodenalm an die italienische Grenze – zum tiefsten Punkt der Tour auf 1.371 m – und siehe da! Hier finden wir den einzigen Stein auf unserem Weg, der das alte »D« noch nicht in ein »Ö« umgeändert hat und noch original geblieben ist. 

Hier treffen sich der Südalpenweg, die Via Alpina (Roter Weg von Triest bis Monaco), der Kärntner Grenzweg mit dem Karnischen Höhenweg. Es gäbe ja noch so viele schöne Wege durch die Alpen!

Der italienische Wald ist wild und felsig. Alte Befestigungen aus dem 1. Weltkrieg oder vielleicht auch noch alte Römerstraßen geben den Weg vor. Es ist vollkommen ruhig, keine Menschenseele zu sehen. Der alte Weg führte früher über viele Brücken, die jedoch allesamt schon eingestürzt waren. Stattdessen gibt es nun Klettersteige – mehr oder weniger gesichert – über schneeweißen Kies und Fels – das Vallone di Rio Bianco oder auch Weißenbachtal oder Kathreiner Graben genannt.

Als es wieder höher geht, danken wir für den bewölkten Himmel, der uns gnädig ein paar Hitzegrade erspart. Und nach einiger Zeit durch malerische Felsspalten, Flussläufe und Wälder taucht in der Ferne das rotweißrote Schild der Staatsgrenze auf. Am Grenzsattel, vor ein paar Jahrzehnten noch als bewährtes Schmuggelgebiet streng bewacht, ist nun nur das stumme Schild noch Zeuge.

 

Wieder in Österreich geht es gemütlich auf und ab, eine Forststraße entlang eines tiefen Grabens zwischen Möderndorfer Alm und Schindelkopf. Bald taucht die Egger Alm auf und damit auch Tourismus. Wir pausieren noch nicht, denn wir wollen zur urigeren Dellacher Alm.   

Und dort finden wir unseren krönenden Abschluss. Wie in einem Wildwest-Dorf laufen hier Pferde und Kühe frei herum. Als wir ins Dorf kommen, sind ca. 30 Pferde zwischen den Almhütten unterwegs. Manche neugieriger als andere, kommen sie nahe. Es gibt aber auch Rivalität, sodass man aufpassen muss, nicht dazwischen zu geraten. 

Es sind wunderschöne, stämmige Pferde unterschiedlichster Rasse, die für das Kufenstechen geritten werden – ein alter Brauch zu Pfingsten. Fasziniert bewegen wir uns mitten unter ihnen. 

 

 

 

 

Am anderen Ende ist das einzige Almgasthaus Pipp mit urigem Essen. Hier ist unser Etappenziel und laut Vroni der schönste Teil des KHWs zu Ende. Wir lassen unsere Wanderung ausklingen und plaudern mit anderen Gästen, die auf unterschiedlichste Art und Weise hier raufkommen. Wieder liegen 55 km hinter uns mit knapp 3000 Höhenmetern Aufstieg und ebensoviele als Abstieg.

Da Vroni in Tröpolach wohnt, kann sie ihr Auto organisieren und wir machen uns auf den Rückweg. Dabei begleiten uns alle Kühe und Pferde der Alm, als wollten sie uns noch so lang wie möglich begleiten. Und ich traute meinen Augen kaum, als ich eine einzige riesige Kuh in der Mitte des Almsees baden sehe!

Was für ein Schlussbild!

Ich kaufe noch Almkäse auf der Egger Alm und wir fahren widerwillig die abenteuerliche Almstraße ins Tal – auch ein Erlebnis für sich. Die Straße ist für ihre engen Stellen und steilen Abgründe bekannt und bringt immer einige Adrenalinmomente bei Gegenverkehr. (Sie erinnert mich an Korsika ;-)

 

Info von Vroni zum Gailtaler Almkäse:

Die ersten auffindbaren Hinweise über die früheste Erwähnung der Almen mit angeschlossenen Käsereien stammt aus dem Urbar des Grafen von Görz aus den Jahren 1375 bis 1381. In diesen Aufzeichnungen werden Angaben über die Erzeugung von Almkäse auf den Almen des Gail- und Lesachtales gemacht. Die Gailtaler Almsennereien waren durch die Geschehnisse entlang der Kriegsfront im Gebiet des Plöckenpasses schwer beschädigt worden und mußten zum Teil vollständig neu errichtet werden. Die Almsennereien prägen das Bild der alpinen Kulturlandschaft im Gailtal. Moderne Produktionsräume bildet die Grundlage, dass "Käseerzeugung" in diesen Strukturen auch heute noch möglich ist.

 

Am 7. September komme ich wieder in das Gailtal, zum Rattendorfer Almabtrieb und die alten Stollen des italienischen Celon möchte ich auch noch erkunden. Bis dahin versuche ich, das Gefühl der Freiheit zu bewahren – auch wenn ich bald wieder am Computer sitzen muss... ;-)